– ONLY IN GERMAN –
Die folgenden Rezensionen wurden von Studenten der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt verfasst.
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Arno Rußegger hielt im Wintersemester 2019/2020 einen Lehrgang „(522.242) Österreich im Film” im Zuge dessen auch das K3 Film Festival besucht wurde. Als Praxisarbeit verfassten die Studenten zu diversen Filmen Rezensionen.
PARADISE
Davide Del Degan, IT/SLO 2019
Rezension von Christian F. Fischer
Einen Neuanfang wagen, alles hinter sich lassen, um woanders ein neues Leben zu beginnen, ist ein Gedankenspiel, das viele Menschen im Laufe ihres Lebens anstellen. Für den Sizilianer Calogero (Vincenzo Nemolato) ist aus dieser romantischen Fantasie, schlagartig und unfreiwillig, reale und überlebenswichtige Notwendigkeit geworden. Nachdem er Zeuge eines Mafia-Mordes wurde und sich dazu entschieden hat, gegen den Mörder auszusagen, wird er in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen und in das friulanische Alpendorf Sauris umgesiedelt. Dort hat der Vater einer jungen Tochter, dessen Ehefrau erneut schwanger ist, zunächst lediglich mit der Trennung von seiner Familie und der Einsamkeit eines Außenseiters zu kämpfen, dem nicht nur die kalte Witterung zusetzt, sondern dem auch die Gebräuche der Alpenbewohner gänzlich fremd sind. Ironischerweise lautet der Name seiner Unterkunft „Paradise“. Nachdem nun auch noch der Mörder (Giovanni Calcagno), der zwischenzeitlich Informant der Polizei geworden ist, wegen eines klischeehaften Behördenfehlers ebenfalls in dem Dorf auftaucht, muss Calogero zudem um sein Leben fürchten. Doch anstelle eines Thrillers entfaltet Regisseur Davide Del Degan vor den Augen des Publikums eine bizarr-witzige und wundervoll inszenierte Komödie. Zwischen den beiden Sizilianern entsteht eine sonderbare Beziehung, zwischen Todesangst und Misstrauen einerseits und emotionaler Anziehung andererseits. Denn der ebenfalls um einen Neuanfang bemühte Informant bekennt sich erstmals zu seiner Homosexualität. Der Film kommt in vielen Szenen mit nur sehr spärlichen Dialogen aus, überzeugt allerdings im Audio-Visuellen, durch das er die atemberaubende Alpenszenerie und deren natürliche Geräuschkulisse sprechen lässt. Wenn Calogero, eine zu große Pudelmütze tragend und hinter seinem Granita-Verkaufswägelchen stehend, mutterseelenallein in der verschneiten Alpenlandschaft ausharrt, ohne auch nur einen einzigen Kunden zu Gesicht zu bekommen, verdeutlicht dies nicht nur seine Deplacierung und Einsamkeit in der fremden Umgebung, sondern trägt eben auch eine gehörige Portion Humor in sich. Um Anschluss zu finden, schließt er sich der lokalen Schuhplattler-Truppe an. Noch kurioser wird es, als er den verzweifelten Versuch unternimmt, durch Blondieren seiner Haare Zugehörigkeit zu suggerieren. Später wird diese grotesk wirkende Entscheidung in einer wiederum wortlosen, beinahe homoerotichen Szene, in der der Informant Calogero die Blondierung aus dem Haar wäscht, wieder aufgegriffen und das Publikum findet sich im Zwiespalt zwischen Empathie für zwei einsame Menschen und ihrer grotesken Darbietung wieder. Aber genau das ist es, was den Film so bemerkenswert vielschichtig macht. Er thematisiert das Mafia- Problem Italiens und die dadurch entstehenden Folgen für dagegen ankämpfende Menschen, das im Land herrschende Nord-Süd-Gefälle und den resultierenden Mangel an Gemeinschafts-gefühl, sowie – fast nebenbei – die immer noch vorherrschende Homophobie in der Gesellschaft. All diese Missstände werden in dieser italienisch-slowenischen Koproduktion mit einem feinen Seidentuch facettenreichen Humors bedeckt, was sie leicht verblassen lässt, sie aber dennoch schmuckvoll präsentiert.
Rezension von Zlata Stojičić
Sizilien – einerseits bekannt als die Insel mit Traumstränden und atemberaubenden Landschaften und andererseits spricht man von einem Fleck voller Korruption und Kriminalität. Die Schattenseite der Insel ist es, die Davide Del Degan in seinem Film „Paradise“ mit einfließen lässt. 85 Minuten voller Spannung, Neugier, Angst, aber auch Erleichterung. Ein junger Sizilianer (Vincenzo Nemolato) hat in seiner Heimat ein Verbrechen beobachtet, einen Mord. Nachdem er gegen den Mörder (Giovanni Calcagno) ausgesagt hat, werden seine Identität und sein Schicksal in die Obhut des Zeugenschutzprogramms gelegt und er landet in dem kleinen Alpendorf Sauris in Oberitalien. Zunächst hat er mit der Trennung von seiner Familie zu kämpfen, die Kälte macht ihm zu schaffen, die Bräuche der Alpenbewohner sind ihm völlig fremd und als wäre das nicht genug, taucht eines Tages der Mörder, gegen den er ausgesagt hat, in demselben Dorf auf und die Angst um sein Leben steigt mit jeder Sekunde. Mit dem Erscheinen des Mörders erwartet das Publikum einen klassischen Thriller, der Regisseur jedoch geht völlig anders und unerwartet mit der Geschichte um. Er liefert eine mitreißende Komödie, mit durchaus witzigen Elementen, aber auch Momenten voller Nervenkitzel. Davide Del Degan schafft einen fließenden Übergang zwischen Drama und Ironie und geht so unbefangen einfach an das ernste und beunruhigende Thema, bei dem das Leben von Zeugen auf den Kopf gestellt wird, heran. Zwischen den zwei Protagonisten entsteht im Laufe der Handlung eine unerwartete und etwas merkwürdige Freundschaft voller Misstrauen, Angst, aber auch starker Anziehung und Bindung. Was sie vor allem verbindet, ist das Streben nach einem Neuanfang und einem normalen Leben und so helfen die zwei einsamen Seelen sich durch gewisse Alltagssituationen, aber auch Probleme, vor die sie gestellt werden. Der Film lebt von eher kurzen und verklemmten Dialogen, viel mehr erzählen die wunderschönen Alpenlandschaften und deren Geräusche, aber auch die Hintergrundgeräusche bei Bewegungen wie z.B. beim Knarren eines Parkettbodens – welches Spannung auslöst. Und das ist es, was den recht einfachen Film zu einem so tollen und vielseitigen macht. Alles in allem eine humorvolle italienisch-slowenische Koproduktion, mit bemerkenswerter Besetzung, die sich mit Leichtigkeit einem ernsten Thema widmet, in und mit wundervollen Schauplätzen spielt und so die Herzen der Zuschauer gewinnt.
Rezension von Victoria Dörflinger
Ein wenig wirkt der Film, als würde er eine Liste von Klischees abarbeiten: Die bemüht und betont humoristische Platzierung des Eislutscher-Verkäufers, der vor dem verlassenen Hotel „Paradise“ eines bitterkalten friulanischen Dorfes trotzig seinem Beruf nachgeht. Die Ehefrau und das ungeborene Kind, die aufgrund des Eintritts in das Zeugenschutzprogramm des Mannes zurückgelassen werden mussten. Der sizilianische Mörder, dessen Kooperationsbereitschaft im Verhör ihn just in das gleiche Kaff katapultiert. Die vermeintliche (Lebens-) Gefahr, die von dem liebesbedürftigen, homosexuellen Mann ausgeht. Die wenigen Bewohner/innen im Bergdorf, deren Bräuche wie Schuhplatteln (unter der Leitung des Pfarrers, der zu jeder guten Stammbesetzung gehört) oder das Verkleiden zu Fasching im einzigen Gasthaus auch im traditionstreuen Österreich verortet werden könnten. Diese eine, durchzechte Nacht und der Alkohol als das soziale Bindeglied und Schmiermittel zwischen den beiden Protagonisten. Und schließlich, aber nicht letztlich, die attraktive, alleinerziehende, unabhängige Wirtin, die ob der Absenz der zurückgelassenen Familie und der Einsamkeit als romantisches Zielobjekt prädestiniert ist. Ein gelungener Film.
Der Regisseur des Films „Paradise“ bedient sich an Überzeichnungen und Klischees, wie süditalienische Kinder am Eiswagen des Protagonisten. Beginnend beim (plötzlich) schwulen Mafioso, über verlorene Liebe, Trauer sowie moralische Zwiespalte bis hin zu Mordversuchen und gelungenem Mord wäre es vermessen, den Film von Davide Del Degan in ein einziges Genre pressen zu wollen. Natürlich lebt der Film von amüsanten Missverständnissen, lustigen Dialogen, überraschenden Wendungen sowie Konflikten. Die 85 Minuten Spielzeit bieten dennoch mehr als überspitzt formulierte Abklatsche von Altbewährtem und man kommt nicht umhin festzustellen, dass die Vielschichtigkeit der Thematik des Zeugenschutzprogramms im Medium Film bis dato vernachlässigt wurde. Die Einsamkeit und Verlorenheit des buchstäblich ins Exil gesandten Calogero werden nur durch kurzweilige Skype Gespräche mit Verwandten unterbrochen; es sind die Einwohner/innen des Dorfes, die ihm Schutz und Geborgenheit in Form von Gemeinschaft geben. In einem seiner dunkelsten Momente – seine Frau entsagt ihm ihre Nachreise – erhält er emotionale Unterstützung von dem Mann, den er vor Gericht verraten hat.
Ein Film, bei dem es sich lohnt, an der Oberfläche zu kratzen und ihn – trotz mehrmaligen, herzhaften Auflachens – ernst zu nehmen.
STILL RUHT DER SEE
Daniel Zivkovic, A/SLO 2019
Rezension von Carolin Pichler
Der Heimatkrimi „Still ruht der See“ ist, neben der Beteiligung einiger Berufsschauspieler und einem professionellen Produktionsteam, ein Projekt mit Schülern der HAK Völkermarkt und dem Gymnasium Ravne na Koroškem. Den Schülern wurde die Möglichkeit gegeben, hinter und vor der Kamera dabei zu sein. Die 78-minütige Produktion entstand als Erasmus+-Projekt, als Gesamtkoordinator fungierte Prof. Mario Kraiger. Ihm zur Seite stand der frühere HAK-Schüler Daniel Zivkovic, der unter anderem als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller in Erscheinung trat.
Am idyllischen Ufer eines österreichischen Bergsees wird die Leiche eines 17-jährigen Mädchens aufgefunden. Sofort macht sich Kommissar Hannes Egger (Daniel Zivkovic) mit seiner Kollegin Franziska Hofer (Simone Leski) auf die Suche nach dem Mörder. Die eingeschworene Gemeinschaft scheint etwas zu wissen. Doch das Dorf schweigt. Der Pfarrer (wunderbar unterhaltsam gespielt von Uroš Zavodnik) kommt mit aufgebrachten Dorfbewohnern zum Tatort und beschuldigt Tobias Haller (Johannes Petautschnig), welcher seit der Tat unauffindbar ist, vor den anwesenden Polizisten. Jedoch hat dessen Vater (Alfred Aichholzer), der erste am Ort des Geschehens, schon die Tat gestanden. Daran scheint aber einiges nicht zu stimmen, und Egger nimmt die Ermittlungen im Dorf auf. Für emotionsgeladene und dramatische Momente sorgt Bacher (Werner Wulz), der Vater der ermordeten Hanna, welcher die Schuld auf einen anderen Dorfbewohner, Strasser, schiebt weil er mit ihm abrechnen will. Dies ist der Familiengeschichte geschuldet, da in den 50ern schon einmal ein Mord geschah und der Täter aus der Familie Strasser stammte. Strasser (Franz Wank) wirkt durch seine Schulden bei der Mafia und dem Falschspiel beim Schnapsen schnell verdächtig. Da die Tatwaffe Bacher gehört, ist der sich sicher, dass Strasser diese gestohlen hat und die Tat ihm unterschieben will. Lange unklar bleibt die Rolle des jungen Polizisten Müller (Robert Griessner) in der Dorfgesellschaft. Er wirkt zwar ungeschickt und etwas langsam, scheint aber Informationen zurückzuhalten. Ein verzwickter Fall also, der ein sehr überraschendes Ende hat.
Zivkovic schafft es, die Heimlichtuerei des Dorfes spannend darzustellen und auch die Charaktere gut zu entwickeln. Besonders begeistern die Kameraarbeit und der Schnitt (Mario Kraiger), welcher professionellen Fernsehproduktionen in nichts nachsteht. Nach den eröffnenden Szenen gibt es eine grafische Sequenz mit Landschaftsbildern, passenden Grafiken und den Credits, welche an einen Vorspann zu einer Serie erinnert, und gleich ein hohes Niveau für den gesamten Film setzt. Die Kamerafahrten zeigen die schönen Landschaften auch durch Drohnenaufnahmen. Das Verhältnis von diesen zu Nahaufnahmen und Totalen ist ausgeglichen und wirkt sehr natürlich. Das Licht ist sehr gut ausbalanciert und zeigt die sonnige Idylle in den Bergen. Auch die Musik von Iris Wallner bleibt im Gedächtnis.
Es gibt aber Stellen, die etwas aus dem Kontext fallen. Die Szenen mit Strasser und dem Mafiaboss wirken fehl am Platz, weil die anderen Handlungsstränge natürlich prominenter sein müssen. Deswegen wirkt das Ganze wie aus einem anderen Film. Ebenso ist die Szene, als der Pfarrer mit den Dorfbewohnern zum Tatort kommt und seine Meinung kundtut, etwas zu unmotiviert.
Aber über dies kann man gut hinwegsehen, und natürlich muss man trotzdem im Sinn behalten, dass es sich um eine Kooperation zwischen Schulen handelt und viele der Darsteller (zum Beispiel die Dorfbewohner) Laien sind. Die restlichen Handlungsstränge wirken sehr stimmig zusammengesetzt, und obwohl es sehr viele Charaktere gibt, zum Beispiel auch noch den Wirt oder die Frau von Hannes Egger, wird man als Zuschauer nicht verwirrt.
Die Kombination von Laien und Berufsschauspielern geht in jedem Fall auf. Dieses Projekt ist äußerst wertvoll, da es länderübergreifend jungen Leuten Einblicke in eine Filmproduktion geben konnte, die mit einer guten finanziellen Basis eine beachtliche Infrastruktur zur Verfügung stellen konnte, Unterkünfte für die Schüler in der Näher des Drehortes, Catering, modernes Kameraequipment und vieles mehr.
Der Film ist zusammen mit zwei anderen beim Festival als ein „Kärnten – Special“ angepriesen. Daniel Zivkovic sagt dazu in der „Woche“: Das Kino aus Kärnten wird immer stärker. Generell glaube ich, dass hier ein immenser Aufwind zu verzeichnen ist und der Aufwärtstrend auch zukünftig fortgesetzt werden wird. Das K3 leistet mit dem Kärnten-Special wichtige Arbeit, um diese Nachricht auch über die Grenzen unseres Bundeslandes hinaus zu tragen.
Filme sind zum Anschauen da. Letztendlich machen wir unsere Filme nicht für Jurys oder für Branchenkollegen. Der höchste Stellenwert kommt dem Publikum zu. Je öfter meine Filme gezeigt werden und je besser sie angenommen werden, umso mehr freut es mich. Im Stil von „Still ruht der See“ könnten auf jeden Fall weitere Heimatkrimis gedreht werden, das Konzept ist tragfähig.
SINE LEGBIUS 1976 – Die Gesetzlosen
Milena Olip, A/SLO 2019
Filmrezension von Barbara Schlesinger Gómez
Der Film Sine Legibus/ Die Gesetzlosen erzählt eine Geschichte aus dem zweisprachigen Kärnten im Jahre 1976. In diesem Jahr wollte die österreichische Bundesregierung eine Minderheitenfeststellung der Kärntner Slowenen durchführen. Diese Minderheitenfeststellung sollte als Grundlage für die Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln dienen. Vier Jugendliche beschließen, dieses Vorhaben zu boykottieren
Schon nach dem I. Weltkrieg, nach dem Vertrag von Saint-Germain 1919, hatte man den Kärntner Slowenen versprochen, nach dem vereinbarten Selbstbestimmungsrecht, dass sie ihre sprachliche und nationale Eigenart wahren können. Viel später, nach einigen Konflikten, am 6. Juli 1972, beschloss der Nationalrat gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ das Bundesgesetz mit den Bestimmungen über die Anbringung von zweisprachigen topographischen Bezeichnungen und Aufschriften in den Gebieten Kärntens mit slowenischer oder gemischter Bevölkerung. Der Streit über die Ortstafeln zog sich in Kärnten bis 2011 weiter, bis die so genannte Konsensgruppe eine Vereinbarung traf, die von der Mehrheit akzeptiert wurde.
Im Film Sine Legibus lehnen Flori Jug, Marjan Olip, Nanti Olip und Peter Olip die vorgesehene Minderheitenfeststellung der österreichischen Bundesregierung ab und stürmen das Wahllokal in Zell/Sele. Sie stehlen die Wahlurne und verbrennen die abgegebenen Stimmen. Dieses Geschehen wird in Form von kurzen Dokumentarfilm-Einspielungen präsentiert.
Nach den Erfahrungen des II. Weltkriegs, befürchteten die oben genannten jungen Männer die Auslöschung bzw. die Aussiedelung der Minderheit in Kärnten, also im Sinne der Arisierungspolitik der Nazis, wonach nicht nur Juden, sondern auch andere Völker oder Ethnien, die damals als minderwertig betrachtet wurden, vernichtet oder verjagt worden sind. So war diese Aktion als Selbstschutz zu bewerten, argumentierte der Rechtsanwalt Matevž Grilc, der die jungen Männer beim Prozess vertrat und der schließlich einen Freispruch für sie erlangte.
Der Film wird hauptsächlich aus dem Blick der 105-jährigen Mica Olip erzählt. Dieser Blick streift über die wunderschöne Kärntner Landschaft. Die betagte Frau besingt ihr geliebtes Kärnten, wo sie beide Völker in Liebe und Respekt vereint sehen möchte. Die Protagonisten, der Politologe Anton Pelinka und Ausschnitte von Dokumentarfilmen ergänzen und bestätigen die Narrative des Filmes. Auch Milena Olip reflektiert in diesem Film eine biographische Geschichte, eine Geschichte, die sie lange mit sich trug, und die sie hier endlich zum Ausdruck gebracht hat.
Die Kameraführung findet aus sehr unterschiedlichen Perspektiven statt. Der Film ist ansprechend und bildschön gemacht, die Musik untypisch und international orientiert, da die Regisseurin alle Musiksorten liebt, wie sie später in der Diskussion erwähnt. Auch die Erzählungen und Erklärungen verlaufen auf unterschiedlichen Ebenen, sowohl im Rückblick als auch im Jetzt durch Mica Olip, den Politologen Anton Pelinka und die anderen vier Protagonisten. Finanzielle Unterstützung für diesen Film gab es aus Slowenien, zumal die Regisseurin dort studiert hat. Zurzeit arbeitet sie in Laibach/Ljubljana und in Berlin, wo gute Kontakte und Vernetzungsmöglichkeiten vorhanden sind. Der Film ist informativ und versöhnlich aufgrund der Ausführungen von Mica Olip und den anderen Erzählern, nun kann man den Ortstafelkonflikt in Kärnten aus einer anderen Perspektive betrachten. In seiner Wahrhaftigkeit und Verständlichkeit besitzt dieser Film in Kärnten ohne Zweifel eine besondere geschichtliche Relevanz.
Filmrezension von Magdalena Strobl
Sine Legibus 1976 – Die Gesetzlosen handelt von der Minderheitenfeststellung in Österreich im Jahr 1976, welche als Baustein für die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln gelten sollte. Dieses Ereignis wurde von den Kärntner Slowenen boykottiert, indem vier Männer die Wahlurne in Zell stahlen und verbrannten. Einen wichtigen Einblick bieten in diesem Zusammenhang die Gedanken der 105-jährigen Mica Olip, einer Verwandte von Regisseurin Milena Olip, ebenso die Erzählungen der damals aktiven Männer. Mica Olip wird immer wieder eingeblendet, im Bett liegend, was die Zuseher auf einer emotionalen Ebene berührt. Der Film selbst ist als Dokumentationsfilm aufgebaut, allerdings mit von Schauspielern nachgespielten Szenen. Dies hilft den Zuschauern, sich die Ereignisse besser vorzustellen, aber auch die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Sehr interessant war die Musikauswahl für diesen Film. Sowohl Volkslieder als auch Punk- oder Rock-Nummern untermauerten die Präsentation und wurden ausschließlich von Kärntner Gruppen produziert. Hierbei ist ein Zusammenschluss von Tradition und Moderne erfolgt, was das Festhalten an der eigenen Kultur widerspiegelt. Milena Olip ist es mit diesem Werk gelungen, auf ein Thema aufmerksam zu machen, welches postnationalistisch noch immer sehr relevant und präsent ist: die Zugehörigkeit der Kärntner Slowenen. Erst 2011 wurde das Problem mit den zweisprachigen Ortstafeln gelöst, was noch einmal bestätigt, wie relevant dieses Thema auch in der heutigen Zeit ist – aber auch, wie lange gewisse Prozesse dauern können. Frau Olip klärt Unwissende über einen wichtigen Teil der Geschichte der Kärntner Slowenen auf, und all dies untermalt mit wunderschönen Landschaftsbildern, welche doch so ‚typisch österreichisch‘ sind. Da stellt sich doch zum Ende hin die Frage: was ist österreichisch und was ist slowenisch?
Filmrezension von Yvette R. Puff
Man blickt in ein Gesicht, ein Gesicht gezeichnet von Vergangenem. Einst voller Lebenskraft, scheint diese Kraft den Körper langsam verlassen zu wollen. Was bleibt sind Erinnerungen.
Koroška – Kärnten.
In dem Gesicht spiegelt sich die Erinnerung an ein historisch aufgeladenes Land. Ein Land, gezeichnet von kultureller Unstimmigkeit und Bilingualität.
Mit diesem ersten Eindruck wird man in die Dokumentation Sine legibus 1976 von Milena Olip eingeführt. Sie erzählt die Geschichte von Menschen, die ein Zeichen gesetzt haben, die zur rechten Zeit am rechten Ort waren. Diese Menschen treffen sich erneut und schwelgen in Erinnerungen. Durch das Reinactment, das in der Dokumentation eingesetzt wird, werden die Berichte zum Leben erweckt und erhalten genau den rechten Grad an Authentizität. Die Schauspieler überzeugen ohne Brillanz mit ihrer Performance. Dadurch, dass die Interviews mit den Zeitzeugen in Slowenisch gezeigt werden, mit deutschen Untertiteln versehen, bleiben die Erzählungen natürlich. Parallel zu den Interviews erläutert ein Historiker die damalige Lage in Kärnten, als die Zweisprachigkeit aus dem Land verbannt hätte werden sollen. Der anekdotische Charakter der Zeitzeugenberichte erhält damit glaubwürdige Aussagekraft. Die immer wieder eingeschobenen Erzählungen der älteren Generation stellen einen Bezug zwischen Vergangenheit und Gegenwart her. Festgemacht ist dies mitunter an Großeltern und deren Enkeln, die stetigen Kontakt suchen. Es werden mehrere Erzählebenen eröffnet, die sich mit dem Thema befassen. Ab und zu stiftet dies Verwirrung, erhält jedoch andererseits die Dynamik der Story aufrecht. Untermalt wird diese Dynamik durch den Einsatz von Musik ausschließlich Kärntner Ursprungs sowie die Narration von Sonja Wakounig.
Die Zeitreise nähert sich dem Ende, und das Gesicht von der 105 Jahre alten Mica Olip, das Gesicht der Erinnerung, taucht wieder auf und stimmt nachdenklich. Wer wird sich an die Geschichten erinnern, wenn es dieses Gesicht nicht mehr gibt? Die familiär-kollektive Aufarbeitung Sine legibus 1976 hat nachvollziehbarerweise einen subjektiven Anstrich, der zu berücksichtigen ist, schafft es allerdings, Erinnerungen zu bewahren und damit der immer noch nicht gänzlich bewältigten Vergangenheit die permanent notwendige Aufmerksamkeit zu schenken. Die Botschaft des Films wird dem Gedenken der Slowenisch-Kärntner Historie durchaus gerecht und betont die Abhandlung der Kärntner Volksabstimmung, die sich im Jahr 2020 vor 100 Jahren ereignet hat.
Kurzfilm: PARADISE // RAJ
Sonja Prosenc, Mitja Ličen, SLO 2019
Filmrezension von Claudia Steiner
PARADISE – oder „Die Frage nach dem perfekten Ei“
Ana und Lars verbringen ihre Sommerferien gemeinsam an auf einer einsamen Insel in der Adria – wie Adam und Eva eben, im Paradies. Doch als Ana während des Urinierens im Freien ungewollt einem Pärchen zuerst beim wilden Streiten und dann noch beim leidenschaftlichen Versöhnungssex zuhören muss, ziehen dunkle Wolken auf im Paradies. Sie beginnt über ihre eigene Beziehung nachzudenken und das Pärchen gerät in Streit. Zusammengefasst klingt die Handlung des knapp 26 Minuten langen Kurzfilms Paradise nicht besonders spektakulär und es gilt zu fragen: Was ist das Besondere an dieser Alltagsgeschichte, die bereits so oft erzählt wurde?
Die Regiearbeit von Sonja Prosenc und ihrem Lebensgefährten Mitja Licen feierte am 13. Dezember im Rahmen des K3 Filmfestivals im Stadtkino Villach Premiere. Die Originalsprache ist Slowenisch, gezeigt wurde der Film mit englischen Untertiteln.
Der titelgebende Ort ist eine vom Massentourismus verschont gebliebene, paradiesische Insel vor der kroatischen Küste. Das junge Pärchen möchte sich dort eine Auszeit vom Alltag, fernab von Social-Media, Handyklingeln und Alltagsstress nehmen. Doch als Ana neidvoll miterleben muss, wie vermeintlich leidenschaftlich ein anderes Pärchen seinen Urlaub verbringt, beginnt sie an dem langweilig anmutenden Lars zu zweifeln. Als der Höhepunkt des morgendlichen Frühstücks dann nicht leidenschaftlicher Sex, sondern lediglich eine Diskussion über das perfekte Frühstücksei ist, sinkt die Stimmung vorerst in den Keller. Die junge Frau beschließt, wieder mehr Pep in ihr Beziehungsleben zu bringen. Auch wenn der Plot anfänglich vorhersehbar erscheint, wird das Publikum immer wieder überrascht. Die eigentlich prüde Ana überzeugt Lars mitten auf der Straße Sex zu haben. Doch leider werden sie splitternackt von einer blökenden Schafsherde mitsamt Hirten gestört, bevor der Akt beginnen kann. Anstatt, wie Lars und im Übrigen auch das Publikum, die Geschichte mit Humor zu nehmen, wird Ana ob der Tristesse ihrer Beziehung immer frustrierter und ihre Versuche, die Beziehung zu retten, immer grotesker.
Der Film lebt von den großartig gemachten Dialogen, die, auch wenn es manchmal nicht mehr als ein simples „okay“ ist, sehr viel über das Innenleben der zwei Protagonisten und deren Beziehung aussagen. Die Sprache ist absolut authentisch und glaubwürdig, leider verliert sie sich etwas in den englischen Untertiteln. Die Schauspieler sind absolut überzeugend und gehen in ihren Rollen auf. Das handwerkliche Können der Mimen zeigt sich insbesondere in den Nahaufnahmen, in denen sie mittels ihrer Mimik das Seelenleben ihrer Rollen erlebbar machen. Den Macherinnen und Machern ist es auch gelungen, das emotionale Empfinden mit Hilfe der Farbwirkung im Film nochmals zu verstärken. So ist es sicher kein Zufall, dass die Hauptdarstellerin fast durchgängig ein gelbes Kleid trägt. Gelb ist eine Farbe, die eher negativ konnotiert ist und in der abendländischen Kultur mit Neid und Missgunst in Verbindung gebracht wird. Und schließlich ist es doch der Neid auf das andere, leidenschaftlichere Pärchen, der den Konflikt auslöst. Ein klares und sattes Gelb ist aber auch eine klare Aufforderung zur Aktivität und genau diese fordert Ana von Lars.
Das Publikum wird mitgenommen, in einen ganz normalen Urlaub, mit den ganz normalen Fragen, mit denen es selbst auch konfrontiert wird, wenn der Alltagsstress einmal nachlässt und man Zeit zum Reflektieren hat. Den Machern ist es gelungen, in knapp einer halben Stunde eine runde Geschichte mit allen dazugehörigen Emotionen zu erzählen, für die Hollywood zwei Stunden, überbezahlte Stars und ein immenses Budget gebraucht hätte. Und die Zuseherinnen und Zuseher wollen von Anfang bis zum Ende wissen, ob das Ei nun perfekt ist oder doch nicht …